Wer schon mal den langen Weg in den hohen Norden auf sich genommen und den Polarkreis überquert hat, betritt eine neue Welt. Hier ticken die Uhren zwar nicht grundlegend anders, als unterhalb dieser Grenze. Am nördlichsten Punkt Norwegens scheint zwischen Mitte Mai und Ende Juli den ganzen Tag die Sonne. Zwischen dem 22. November und dem 23. Januar übersteigt sie den Horizont am Nordkap nicht. Gerade Fotograf*innen tun sich im Sommer gut daran, die Nacht zum Tag zu machen. Die Sonne steht nachts besonders tief und taucht die Landschaften in ein warmes und weiches Licht. Ab September wiederum locken die Polarlichter viele Fotograf*innen in die dunkle Nacht. So oder so – die nordischen Nächte sind lang…
Im Corona-Jahr ist alles anders. Unsere ursprünglichen Urlaubs-Pläne mussten wir komplett umkrempeln, wie viele andere auch. Da die Lage sich im Frühjahr mit jedem Tag veränderte und sich die Reisebeschränkungen innerhalb von ein paar Tagen veränderten, hörten wir auf, uns mit möglichen Reiserouten zu beschäftigen. Das schönste am Campen ist, dass man flexibel auf Veränderungen reagieren kann und Pläne meist verworfen werden. Sei es, dass man dem „guten Wetter“ hinterher reist oder die Standorte bei Nichtgefallen schnell wechseln kann.
Wer auf Campingplätze und (chemische) Ver- und Entsorgung nicht angewiesen ist, dem steht die Welt offen. Gerade in Schweden haben wir zahllose, versteckte und einsame Park- und Übernachtungsmöglichkeiten gefunden, wie es sie schöner kaum gibt. Zumal sie in vielen Fällen mit einem überdachten Picknickplatz, Plumpsklos und offenen Feuerstellen versehen sind – Holz und Grillutensilien inklusive. Selbst in den abgelegensten Gebieten und am Ende der holprigsten Schotterstraßen finden sich kleine idyllische Plätzchen. Ein wenig wie im Paradies, denn in den meisten Fällen liegen sie an einem einsamen, klaren See mit „Privatstrand“.
So etwas wäre in der Form hier in Deutschland nicht möglich. Schade eigentlich, denn in der Regel werden die Plätze auch so verlassen, wie sie vorgefunden wurden. Schwarze Schafe, die ihren Müll und ihre Hinterlassenschaften dort entsorgen, gibt es laut Berichten aber auch – mir persönlich ist dies schlichtweg unbegreiflich. Ich hoffe, dass uns allen das sogenannte „Jedermannsrecht“ noch lange erhalten bleibt.
Dieses Jahr verschlug es uns völlig unerwartet erneut auf die Inseln Norwegens. Die Lofoten und die Vesteralen begeisterten uns schon in den vergangenen Jahren mit ihrer Mitternachtssonne, doch die Insel Senja hatte es uns besonders angetan. Ca. 350 km nördlich des Polarkreises gelegen, ist sie (noch) weniger touristisch erschlossen, wie ihre weitaus bekannteren Nachbarn. Allerdings braucht sie sich keinesfalls zu verstecken. Senja vereint alles, was Norwegen auf dem Festland und den Inseln zu bieten hat. Schroffe Felsen, die direkt und tief ins Meer fallen, beeindruckende Felsformationen, traumhafte Strände und weite Tundren mit einsamen und ursprünglichen Moorlandschaften und Birkenwäldern.
Für den Pauschal-Urlauber ist sie weniger komfortabel. Es gibt nur wenige Hotels, einige wenige, offizielle Campingplätze und auch die Ver- und Entsorgung gestaltet sich schwierig. Doch für jene, die wie wir autark und ohne große Ansprüche reisen möchten, ist es schlichtweg ein Paradies. Und außerhalb der Saison sind die nordischen Länder sowieso ein Traumziel…
Aufgrund der Corona-Einreisebeschränkungen stand Norwegen dieses Jahr garnicht auf unser Agenda. Es hielt uns aber auch nicht davon ab, immerwährend an den schwedisch-norwegischen Grenzen entlang zu fahren. Stets mit Wehmut und der stillen Sehnsucht, einen kleinen Blick auf die hohen Berge des für uns „verbotenen“ Traumziels zu erhaschen.
Da ein Ziel unserer Reise der hohe Norden Schwedens und das Polarlicht war, fuhren wir zügig Richtung Schwedisch Lappland und hielten uns einige Tage im Stora Sjöfallet und im Abisko-Nationalpark auf. Bei letzterem sollte die Wahrscheinlichkeit, Polarlichter zu sehen, im Norden am höchsten sein und wir hofften auf eine Premiere dieses Naturphänomens. Das wäre es dort auch gewesen, wenn wir nicht völlig ahnungslos während eines kleinen Polarlichtspektakels ahnungslos im Camper saßen und gemütlich einen Krimi streamten. Als uns unsere Nachbarn am nächsten Morgen aufklärten, wollten wir es kaum glauben – nun waren wir wenigstens gewarnt…
Per Zufall und fast nebenbei erfuhren wir von anderen Campern, das die 10-tägige Quarantäne für eine Einreise nach Norwegen auch mit einen nachweisbaren Aufenthalt in den (noch) weniger betroffenen Gebieten von Schweden als abgegolten gilt. Uns hielt natürlich nichts mehr. Spontan überquerten wir – nicht ohne Aufregung und Verunsicherung – problemlos die Grenze. Unmittelbar schlugen wir den Weg nach Senja ein. Wir konnten es kaum fassen, befanden wir uns doch völlig unerwartet und nie gehofft auf einer unserer Lieblingsinseln…!
Die Wanderung auf den Segla gehört wie eine Fototour zum Tungeneset zu den obligatorischen „Pflichten“ von Besuchern dieser wunderschönen Insel. Und das auch zweifelsfrei zu Recht. Beide „Hotspots“ bieten einmalige Panoramen, die sich niemand entgehen lassen sollte. Das Wetter zeigte sich herbstlich rauh, aber das gehört zu den Küsten Skandinaviens wie der überall präsente, bzw. sich ankündigende Trockenfisch. Wer die Küsten Norwegens mag, muss auch deren Wetterkapriolen lieben. Wer einmal dort war und sich berühren lässt von diesen wilden, einsamen und dramatischen Stimmungen, wird sie immer wieder aufsuchen.
In vier Nächten fieberten wir mit befreundeten Mitcampern bis tief in die Nacht den Nordlichtern entgegen. Und wir wurden nicht enttäuscht. Das erste Mal auf Polarlichtjagd – die Erwartungen waren groß und die Spannung noch größer. Wir hatten Polarlichtbewegungen der Stufe KP3, für wirkliche Polarlichtfans geht da sicherlich noch mehr. Es dauerte ein wenig Übung bis wir die noch schwachen Nordlichter von den immer wieder aufziehenden Wolken unterscheiden konnten. In einer Nacht begleiteten sie uns über drei Stunden, bis sie langsam nachließen. In der vierten Nacht tanzten die Lichter regelrecht am Himmel und wir konnten sie in lila-grünen Farben am Himmel bewundern.
Die Kamera fängt besonders die schwächeren Lichter um einiges intensiver ein, als sie mit dem bloßen Augen zu sehen sind. Aber wenn sie intensiver werden und das Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt hat, erkennt man die typischen „Vorläufer“. Sie sind faszinierend, fesseln und können süchtig machen – einfach magic…
Diese Polarlicht-Reise wird sicherlich nicht unsere einzige und letzte bleiben. So planen wir, wenn wieder möglich, eine Winterreise mit Camper über den Polarkreis durch Finnland und ganz Lappland. Finnland im Winter – ein Traum, der dem einer winterlichen Küsten- und Inselreise sicherlich in nichts nachsteht. Selbst, wenn in den geplanten (Winter-) Reisen die Tierfotografie nicht das Hauptziel ist – auch in den kälteren Jahreszeiten ist der Norden voller Leben und sehr vielfältig. Wie der Schein der Mitternachtssonne im Sommer, gehören auch die besonderen Lichtverhältnisse und die „Dunkelheit“ in den Wintermonaten zu den besonderen Reizen einer Reise über den Polarkreis. Wer nur das eine mag, kann diese einmalige Landschaft nur mit halben Sinnen erleben. Uns lässt sie nicht mehr los – diese fast unstillbare Sehnsucht nach dem hohen Norden.
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